BAG-Urteil vom 03.05.2022 - 3 AZR 408/21: Rückwirkung der „Escape-Klausel“ für Pensionskassenzusagen (24.07.2024)

Das BAG entschied im Urteil vom 03.05.2022 (3 AZR 408/21), dass der Entfall der Anpassungsprüfungspflicht für Pensionskassenzusagen (sogenannte „Escape-Klausel“ gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG iVm der Rückwirkung für frühere Anpassungszeiträume gemäß § 30c Abs. 1a BetrAVG) in der ab 31.12.2015 geltenden Fassung nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstößt.

Durch das Rentenreformgesetz 1999 wurde zum 01.01.1999 § 16 Abs. 3 Nr. 2 ins BetrAVG eingefügt. Danach entfiel die Anpassungsprüfungspflicht für Pensionskassenzusagen, wenn „ab Rentenbeginn sämtliche auf den Rentenbestand entfallende Überschussanteile zur Erhöhung der laufenden Leistung verwendet werden und zur Berechnung der garantierten Leistung der nach § 65 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) festgesetzte Höchstzinssatz zur Berechnung der Deckungsrückstellung nicht überschritten wird“. Ziel der Neuregelung war, die Erhaltung und Verbreitung der bAV zu verbessern und auch für die Zukunft aufrechtzuerhalten. Arbeitgeber sollten durch diese gleichwertige Alternative zur Anpassungsprüfungspflicht Kalkulationssicherheit erhalten. 

Die Bezugnahme auf den Höchstrechnungszins führte aber dazu, dass die Einschränkung für vor dem 16.05.1996, dem Inkrafttreten der Deckungsrückstellungsverordnung, erteilte Versorgungszusagen nicht anwendbar war. Durch die Neuregelung von § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG im Zuge der Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie entfiel ersatzlos die Bezugnahme auf den VAG-Rechnungszins. Sicherzustellen ist jetzt nur noch, dass die Pensionskasse sämtliche Überschussanteile zur Erhöhung der Betriebsrenten verwendet. Der neu eingefügte § 30c Abs. 1a BetrAVG regelte, dass diese Änderung auch für Anpassungsprüfungsstichtage vor 01.01.2016 gilt, „soweit nicht bereits eine Anpassung erfolgte oder eine darauf zielende Klage erhoben wurde“. 

Im zu entscheidenden Fall erhielt die Arbeitnehmerin vom Arbeitgeber eine bAV-Zusage über den Beamtenversicherungsverein des Deutschen Bank- und Bankiersgewerbes a.G. (BVV). Der BVV ist eine regulierte Pensionskasse (iSv. § 1b Abs. 3 BetrAVG) und steht unter Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Die Überschusszuteilung erfolgt gemäß den Festlegungen im von der BaFin genehmigten Technischen Geschäftsplan des BVV. 

Die an die Klägerin erteilte Pensionskassenzusage wurde zu 2/3 vom Arbeitgeber und zu 1/3 aus Eigenbeiträgen finanziert. Bei Altersrentenbeginn zum 01.10.2011 betrug die Gesamtrente 920,07 € monatlich, (davon 613,38 € arbeitgeberfinanziert), die seither nicht angepasst wurde. Die Klägerin meinte, dass die Escape-Klausel nicht auf den streitgegenständlichen Anpassungsstichtag 01.10.2014 anwendbar sei. Die Änderung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 16 BetrAVG sei mit Unionsrecht nicht vereinbar und die Übergangsbestimmung in § 30c Abs. 1a BetrAVG verstoße gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot. Ferner habe der BVV Überschüsse unzulässig verwendet, indem diese in die Verlustrückstellung eingestellt wurden. Weiterhin führte die Aufteilung der Überschüsse zur unzulässigen Zurückhaltung von Überschussanteilen.

 

Der beklagte Rechtnachfolger des Arbeitgebers berief sich darauf, dass sämtliche auf den Rentenbestand entfallende Überschussanteile zur Leistungserhöhung verwendet würden. Damit entfiele seine Anpassungsprüfungspflicht, und zwar auch für frühere Anpassungsstichtage. Die Wahrung des Vertrauensschutzes sei unerheblich, denn die versorgungsberechtigte Klägerin hatte vor dem 01.01.2016 keine Klage bezüglich der Nichtanpassung zum fraglichen Stichtag erhoben. Sie hatte den Arbeitgeber erst mit Schreiben vom 27.01.2016 bezüglich der Nichtanpassung gerügt. Auch stehe die Überschusszuteilung im Abrechnungsverband „Alttarife“ im Einklang mit früherer BAG-Rechtsprechung. 

Das BAG stellte mit seinem Urteil fest, dass die Übergangsvorschrift des § 30c Abs. 1a BetrAVG nicht verfassungswidrig sei und keine unzulässige Rückwirkung vorliege. Denn ausnahmsweise ist diese zulässig, wenn schon im Zeitpunkt, auf den sich die Rückwirkung bezieht, die Betroffenen mit einer Gesetzesänderung rechnen mussten. Aus der Rechtsentwicklung war nach Ansicht der Richter zu schließen, dass es dem Gesetzgeber darum ging, die Anpassungsprüfungspflicht auszuschließen, wenn die Überschüsse den Betriebsrentnern zugutekommen. Daher wäre erkennbar gewesen, dass dieses Ziel notfalls auch durch eine gesetzgeberische Korrektur der Rechtsprechung weiterverfolgt würde. Die klagende Betriebsrentnerin musste also bereits davon ausgehen, dass die Anpassungsprüfungspflicht für den Beklagten entfällt. Gründe für einen Vertrauensschutz liegen nicht vor, da sie bis zum 01.01.2016 keine Klage bezüglich der Nichtanpassung erhoben hatte. 

Zusammenfassend gilt die Escape-Klausel auch für bAV-Zusagen mittels Pensionskassen bei entsprechender Überschussverwendung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften, auch wenn diese Vorschriften teilweise mit Rückwirkung geändert wurden. Die Rückwirkung greift nur dann nicht, wenn bereits Klage erhoben oder eine erfolgte Anpassung (vor 2016) schon in Frage gestellt wurde.  

 

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