Anspruch auf Berechnung korrekter Erstrente verwirkt nicht

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 13.10.2020 (3 AZR 246/20) klargestellt, dass der Anspruch eines Empfängers von betrieblicher Altersversorgung auf korrekte Berechnung seiner Erstrente nicht verwirkt. Denn ein Recht, welches durch Betriebsvereinbarung eingeräumt wurde, ist dem Einwand der Verwirkung entzogen.

Der Kläger war seit 1955 bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigt und bezieht seit dem 01.04.2004 eine betriebliche Altersrente. Er begehrte die Überprüfung einer verschlechternden Ablösung der bei Diensteintritt für ihn gültigen Versorgungsregelung.

Die Ablösung führte für Dienstjahre ab dem 01.01.1988 zu abgesenkten Steigerungsfaktoren pro abgeleistetem Dienstjahr von 0,4 % auf 0,2 % des ruhegeldfähigen Einkommens. Der Kläger argumentierte, dass für die Halbierung der künftigen Steigerungsbeträge infolge der Ablösung der Versorgungsregelung keine rechtfertigenden Gründe im Sinne des dreistufigen Prüfungsschemas des BAG vorgelegen hätten.

Der beklagte Arbeitgeber argumentierte, dass seine damalige wirtschaftliche Lage den Eingriff in die zukünftigen Zuwachsraten rechtfertigte. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat mit dem Hinweis auf die Verwirkung des Anspruchs eine Neuberechnung der Versorgung auf Basis der ursprünglichen Regelung abgelehnt, ohne zu prüfen, ob die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers einen Eingriff in die Versorgung gerechtfertigt hätte. Der Kläger habe 13 Jahre lang die Berechnung seines Ruhegeldes unbeanstandet gelassen und könne daher keine Neuberechnung mehr verlangen.

Das BAG hob die Entscheidung des LAG vom 13.11.2019, Az. 1 Sa 1/19, auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück, da es an erforderlichen Feststellungen zum Sachverhalt fehlte.

Das Klagerecht kann ausnahmsweise verwirken, wenn der ehemalige Arbeitnehmer lange untätig war (erst spät Klage erhebt) und sich zusätzlich der Arbeitgeber darauf verlassen konnte, dass der Betriebsrentner nicht mehr gerichtlich gegen ihn vorgehen würde. Der Vertrauensschutz des Beklagten muss das Interesse des Klägers an der sachlichen Prüfung des eingeklagten Anspruchs derart überwiegen, dass dem Beklagten die außerhalb einer angemessenen Frist erhobene Klage unzumutbar ist. Diese Ausnahme hat das BAG hier nicht gesehen (es lagen keine Umstände vor, die es dem Arbeitgeber unzumutbar gemacht hätten, sich auf die Klage sachlich einzulassen; die hohen rückwirkenden Belastungen aus Forderungen seit dem Rentenbeginn reichten hierfür nicht aus).

In seinen Hinweisen an das Berufungsgericht greift das BAG ausführlich seine gefestigte Rechtsprechung zu Eingriffen in Versorgungsregelungen nach dem dreistufigen Prüfungsschema mit entsprechenden Verweisen auf frühere Entscheidungen auf. Im weiteren Berufungsverfahren sind Feststellungen zur wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers nachzuholen, um anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Eingriffsgründe zu prüfen, ob die Ablösung der Versorgungsregelung den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit genügt.

Hervorzuheben ist, dass laut BAG hierbei zu berücksichtigen sei, dass die spätere Versorgungsregelung neben der Absenkung künftiger Steigerungsbeträge auch vorsah, bisher unversorgte Arbeitnehmer rückwirkend in das betriebliche Versorgungswerk mit aufzunehmen. Darin könne ein sachlich-proportionaler Grund für den Eingriff in künftige Steigerungsbeträge liegen.

Gegenstand der Entscheidung waren auch nicht erfolgte Rentenanpassungen, was dem Bundesarbeitsgericht Gelegenheit gab, die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Anpassungsprüfung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG darzulegen.

Es gilt, dass bei der Anpassungsprüfungspflicht (i.S.v. § 16 Abs. 1 BetrAVG) der Arbeitgeber die Belange der Versorgungsempfänger sowie seine eigene wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen hat. Ggf. entfällt die Verpflichtung zur Anpassung der Betriebsrenten, soweit dies billigem Ermessen entspricht.

Die wirtschaftliche Lage als zukunftsbezogene Größe umschreibt die künftige Belastbarkeit des Arbeitgebers und setzt grundsätzlich eine Prognose voraus. Bei der zu erstellenden Prognose ist auch die bisherige wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens einzubeziehen, soweit daraus Schlüsse für die weitere Entwicklung gezogen werden können. Die tatsächlichen wirtschaftlichen Ergebnisse können bis zur letzten mündlichen Verhandlung eine frühere Prognose bestätigen oder auch entkräften, jedoch nur, wenn die weitere Unternehmensentwicklung zum Anpassungsstichtag bereits vorhersehbar war. Unerwartete Veränderungen werden erst beim nächsten Anpassungsstichtag berücksichtigt.

Die Nichtanpassung kann gerechtfertigt sein, wenn das Unternehmen dadurch übermäßig belastet und seine Wettbewerbsfähigkeit gefährdet würde, d.h. wenn keine angemessene Eigenkapitalverzinsung erwirtschaftet wird (unzureichende Ertragskraft zur Finanzierung der Anpassung) oder wenn das Unternehmen nicht mehr über genügend Eigenkapital verfügt (verlorene Vermögenssubstanz darf erst wieder aufgebaut werden).

Auch wenn der Ausgang des Rechtsstreits noch offen ist, können aus der Urteilsbegründung einige Schlussfolgerungen abgeleitet werden:

• Verfolgt ein ehemaliger Arbeitnehmer ein Recht, welches ihm im Rahmen einer Betriebsvereinbarung eingeräumt wurde, ist dies von Gesetzes wegen dem Einwand der Verwirkung entzogen. Daher kann eine Überprüfung der Wirksamkeit einer verschlechternden Betriebsvereinbarung – selbst nach jahrelangem Leistungsbezug – immer noch erfolgreich eingeklagt werden. 

• Ablösende Betriebsvereinbarungen sollten mit viel Sorgfalt konzipiert werden, denn nach aktueller Rechtslage kann bis zum Ableben des letzten Versorgungsberechtigten eine gerichtliche Überprüfung zulässig sein. Dies gilt trotz Beteiligung des Betriebsrates beim Abschluss der verschlechternden Regelung. 

• Anpassungsentscheidungen, die nicht den vollen Kaufkraftverlust seit Rentenbeginn ausgleichen, sollten vom Arbeitgeber immer hinreichend dokumentiert werden, um für eine gerichtliche Überprüfung gut vorbereitet zu sein.

Das BAG-Urteil zeigt auf, dass bereits die Entscheidung über die Art und Weise der Implementierung einer bAV sehr sorgsam überlegt sein sollte, um künftige Belastungen planbar zu gestalten.

SLPM unterstützt Sie in allen rechtlichen und versicherungsmathematischen Fragen rund um die betriebliche Altersversorgung. Sprechen Sie uns einfach an: SLPM-Beratung@swisslife.de


PDF - Download

Ausdrucken

Archiv