Entwicklung der BAG-Rechtsprechung zu Altersgrenzen in der Hinterbliebenenversorgung (Teil 1) 25.10.2023

Arbeitgeber erhöhen die Attraktivität ihrer betrieblichen Versorgungssysteme und die Bereitschaft ihrer Arbeitnehmer an solchen Systemen teilzunehmen, indem sie neben einer Alters- und ggf. Invaliditätsversorgung auch eine Hinterbliebenenleistung (bspw. Witwen- bzw. Witwerrente) in ihre betriebliche Altersversorgung (bAV) mit aufnehmen. Eine Zusage auf betriebliche Hinterbliebenenversorgung ist für den Arbeitgeber allerdings mit zusätzlichen Unsicherheiten und finanziellen Risiken verbunden.

Ob, wann und wie lange die versprochenen Leistungen an den überlebenden Ehegatten erbracht werden müssen, ist vollkommen ungewiss. Arbeitgeber werden kein Interesse daran haben, lebenslange Versorgungsleistungen an Hinterbliebene zu erbringen, die bspw. im Alter von 30 Jahren den 80-jährigen Betriebsrentner noch kurz vor dessen Tod heiraten. Sogenannte „Versorgungsehen“, also Ehen, von denen aufgrund ihrer Kürze vermutet wird, sie seien nur geschlossen worden, eine Hinterbliebenenversorgung für den überlebenden Partner zu sichern, gilt es schließlich zu vermeiden.

Es ist ein legitimes Ziel des Arbeitgebers, die Kosten der Hinterbliebenenversorgung in Grenzen zu halten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) erkennt das Interesse des Arbeitgebers an, seine Leistungspflicht zu begrenzen, solange diese Einschränkungen dafür angemessen sowie erforderlich sind und keine unzulässige Benachteiligung darstellen.

Vor diesem Hintergrund werden Witwen- oder Witwerrenten regelmäßig nur unter bestimmten Voraussetzungen gezahlt. Arbeitgeber haben in der Vergangenheit auf verschiedene Art und Weise versucht, das unkalkulierbare Risiko einer Hinterbliebenenversorgung mittels entsprechender Regelungen bzw. Klauseln in ihren Versorgungsordnungen und Versorgungszusagen auf ein kalkulierbares Maß zu begrenzen. Die Hinterbliebenenversorgung wird dann unter einschränkenden Voraussetzungen gewährt. Erweist sich die Beschränkung allerdings als rechtlich unwirksam, führt dies i.d.R. zu einer Ausweitung der zu erbringenden Versorgungsleistungen.

Solche einschränkenden Klauseln sind insbesondere in Direktzusagen (Pensionszusagen) weit verbreitet. Versorgungszusagen, die durch Versicherungsverträge finanziert werden, wie bspw. die Direktversicherung, sehen solche Einschränkungen dagegen meist nicht vor. Der Versicherer hat dort im Normalfall die entsprechende Risikokalkulation in seinem Tarif berücksichtigt.

Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Klausel in einer Vereinbarung ist neben dem Betriebsrentengesetz (BetrAVG) sowie dem ggf. anwendbaren Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB, §§ 305 ff. Bürgerliches Gesetzbuch, BGB) vor allem das EU-Richtlinien in deutsches Recht umsetzende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) relevant, da Einschränkungen bei der Versorgung keine unzulässige Diskriminierung verkörpern dürfen.

Die Entwicklung der Rechtsprechung zu Einschränkungen bei der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung kann als Grundlage für die künftige Gestaltung möglichst wirksamer Regelungen bzw. für die Überprüfung, Beurteilung und ggf. das Ergreifen von geeigneten Maßnahmen bezogen auf bereits bestehende Klauseln dienen. Der folgende Überblick soll dabei unterstützen.

Spätehenklausel

Die Spätehenklausel galt für Arbeitgeber lange Zeit als probates Mittel zur Risikominimierung bei der Hinterbliebenenversorgung, welches die Rechtsprechung früher ausdrücklich anerkannt hat (BAG 09.11.1978 – 3 AZR 784/77 unter I. 1. der Gründe). Dabei handelt es sich um eine Regelung, die den Anspruch auf eine Versorgungsleistung an Witwen oder Witwer für den Fall ausschließt, dass die Ehe erst nach einem bestimmten Zeitpunkt geschlossen wurde, bspw. nach der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, nach Eintritt des versorgungsberechtigten Arbeitnehmers in den Ruhestand oder nach Vollendung eines bestimmten (z.B. des 60.) Lebensjahres.

Die ersten beiden Varianten werden nach wie vor als zulässig erachtet. Das BAG hat allerdings eine an das Lebensalter des Versorgungsberechtigten anknüpfende Spätehenklausel in einer Entscheidung vom 04.08.2015 (3 AZR 137/13, Rn. 36) wegen unmittelbarer Altersdiskriminierung gemäß § 7 Abs. 2 und § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG für unwirksam erklärt, da das AGG altersabhängige Aufnahmevoraussetzungen nur für Alters- und Invalidenleistungen gestattet. Nach Auffassung des BAG stellte die Hinterbliebenenversorgung keine Form der Alters- oder Invalidenleistung dar. Ebenfalls scheidet eine Rechtfertigung nach § 10 Satz 1, 2 AGG aus, da die unmittelbare Ungleichbehandlung nicht zur Erreichung eines legitimen Ziels angemessen und erforderlich sei. 

Eine solche Klausel sei eine Diskriminierung wegen des Alters und stelle eine übermäßige Beeinträchtigung der legitimen Interessen des Versorgungsberechtigten dar. Ein Versorgungsinteresse bestehe immer und sei unabhängig davon, wann die Ehe geschlossen wurde.

Nach Ansicht des BAG sei die Dauer der Ehe während des Arbeitsverhältnisses zudem kein geeigneter Anknüpfungspunkt für eine Differenzierung, da die Hinterbliebenenleistung, die letztlich Entgeltcharakter habe, keine Gegenleistung für die Ehedauer, sondern für die Beschäftigungszeit sei. Im Gegensatz zum Ende des Arbeitsverhältnisses oder zum Eintritt des Versorgungsfalles stelle das Erreichen eines bestimmten Lebensalters darüber hinaus keine Zäsur dar, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könne. Dahingehend, dass eine nach dieser Altersgrenze erfolgte Eheschließung überwiegend Versorgungszwecken diene, gebe es schließlich keinen allgemeinen Erfahrungssatz (BAG 04.08.2015 – 3 AZR 137/13, Rn. 69 ff.).

In seiner Parris-Entscheidung vom 24.11.2016 in einem ähnlich gelagerten Fall aus Irland vermochte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einer an das 60. Lebensjahr anknüpfenden Spätehenklausel keine Diskriminierung wegen des Alters zu erkennen. Im Unterschied zum BAG stufte der EuGH die Hinterbliebenenrente als eine Form der Altersrente ein. Nach Ansicht des EuGH liege keine Altersdiskriminierung vor, wenn die Hinterbliebenenversorgung ein Teil der Altersversorgung sei (EuGH 24.11.2016 – C-443/15, Rn. 72). Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie (Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG) erlaube begründete, altersabhängige Differenzierungen bei Alters- und Invalidenleistungen und somit indirekt auch für die Hinterbliebenenleistung (EuGH 24.11.2016 – C-443/15, Rn. 75). Damit stand die Entscheidung des EuGH im Widerspruch zu der vermeintlich europarechtskonformen Auslegung des BAG.

Unter Aufgabe seiner zwischenzeitlichen Rechtsprechung hat das BAG sich anschließend der Ansicht des EuGH angeschlossen. Das BAG hat ausgeführt, dass eine in Abhängigkeit von der Alters- und/oder Invalidenversorgung zu gewährende Hinterbliebenenleistung (wenn sich die Höhe der Hinterbliebenenleistung an der Höhe der Alters- oder Invalidenrente orientiert) auch § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG unterfallen könne und dass daher ein vom Alter bei Eheschließung abhängiger Ausschluss der Hinterbliebenenleistung zulässig sei (BAG 14.11.2017 – 3 AZR 781/16, Rn. 31 ff.). Eine Klausel, die eine Hinterbliebenenversorgung ausschließt, wenn der versorgungsberechtigte Arbeitnehmer bei der Eheschließung ein bestimmtes Alter überschritten hat (hier war es das Alter 65; identisch mit der Altersgrenze in der Versorgungszusage für den Bezug eines Ruhegeldes), bewirkt eine unmittelbare Benachteiligung wegen Alters i.S.d. §§ 1, 2 Abs.1 Satz 1 AGG. Diese Ungleichbehandlung sei aber nach § 10 AGG sachlich gerechtfertigt. Die bewirkte Ungleichbehandlung wegen Alters beruht hier nach Ansicht des BAG auf einem legitimen Zweck, den Versorgungsaufwand der Hinterbliebenenversorgung für einen Arbeitgeber überschaubar und kalkulierbar zu halten. Die Altersgrenze von 65 Jahren sei auch angemessen, da sie an betriebsrentenrechtliche Strukturprinzipien anknüpft – hier an die Altersgrenze für den Ruhegeldbezug. Der Ausschluss der Hinterbliebenenversorgung bei einer Eheschließung nach dem 65.Lebensjahr sei sachlich gerechtfertigt.

Anerkannt als betriebsrentenrechtliches Strukturprinzip sind nach bisheriger Rechtsprechung des BAG das Ende des Arbeitsverhältnisses, der Eintritt des Versorgungsfalls und die feste Altersgrenze für den Bezug der Altersleistung. Diese Zeitpunkte stellen, entgegen der Vorgabe eines bestimmten Alters, aus Sicht des BAG einen sachgerechteren Anknüpfungspunkt für eine Spätehenklausel dar. Die Anknüpfung der Spätehenklausel an die Vollendung eines bestimmten Alters des Versorgungsberechtigten wäre nur dann gerechtfertigt, wenn dieses Alter zugleich als feste Altersgrenze für den Bezug der Altersleistung definiert worden ist.

In der Praxis enthalten zahlreiche Versorgungsordnungen und Versorgungszusagen Spätehenklauseln, die unmittelbar an das Alter des Arbeitnehmers anknüpfen. Diese sollten aufgrund der aktuellen Rechtsprechung dringend überprüft werden. Soll die Spätehenklausel unmittelbar an das Alter des Versorgungsberechtigten geknüpft werden, ist dies nur dann zulässig, wenn das gewählte Alter zugleich als feste Altersgrenze für den Leistungsbezug definiert wird. Um mögliche Risiken einer unmittelbaren Anknüpfung an das Alter des Versorgungsberechtigten zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Spätehenklausel stattdessen altersunabhängig an die Beendigung des Dienstverhältnisses oder den Eintritt eines Leistungsfalls zu koppeln.

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